Wenn Klientinnen oder Klienten das erste Mal in meine Praxis kommen, ist ihre Aufregung und Unsicherheit oft deutlich zu spüren - darüber, wer sie da erwartet, was jetzt passieren wird und wie das so ist „auf der Couch“. Manche erzählen nach ein paar Sitzungen, dass sie schon viel früher gekommen wären, hätten sie gewusst, wie sehr ihnen die Gespräche helfen würden. Dass sie lange gezögert hatten, sich Hilfe zu suchen, in der Meinung „Ich muss das doch alleine schaffen“ oder „Ich bin ja nicht verrückt“.
Ich kann diese Gedanken sehr gut nachvollziehen. Auch ich war einmal Klientin einer Psychotherapeutin, sogar über mehrere Jahre hinweg. Ich bin schon damals offen mit dieser Tatsache umgegangen - in der Gesellschaft ist es aber leider häufig immer noch ein Tabuthema, sich psychologische Unterstützung zu holen. Dieser Text ist mein ganz persönlicher Erfahrungsbericht darüber, wie es ist, zur Psychologin* zu gehen. Er soll dazu ermutigen, diesen Schritt zu machen.
Wie alles begann
Es war im Spätsommer 2006. Mein damaliger Partner hatte gerade - wieder einmal - mit mir Schluss gemacht. Ich saß wie ein Häufchen Elend voller Liebeskummer im Auto meiner Eltern, bei denen ich das Wochenende verbrachte, und wartete auf meine Mutter, die gerade im Supermarkt war. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wer mir vorgeschlagen hatte, mir Hilfe zu suchen: vielleicht meine Eltern, vielleicht auch mein damaliger Partner selbst (der lange der Meinung war, ich allein wäre "das Problem" und schuld an der ganzen Beziehungsmisere).
Ich war zu dieser Zeit gerade Mitte 20 und mein Leben durch eine schwierige On-Off-Beziehung nicht so unbeschwert wie es sonst in diesem Alter hätte sein können. Im Gegenteil, es ging mir seelisch schon seit längerem gar nicht gut. Ich hatte das Gefühl, in besagter Partnerschaft erfolglos zu kämpfen und meine Kraft dabei immer mehr zu verlieren. An diesem Tag war schließlich der Punkt erreicht, an dem ich einfach nicht mehr weiter konnte.
Als ich in meiner Ratlosigkeit am Parkplatz zum Handy griff, um den Anruf bei der Psychologin zu tätigen, war mir nicht annähernd bewusst, wie weitreichend diese Entscheidung für mein weiteres Leben sein sollte.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine sachlich-freundliche Frauenstimme. Ich erwähnte meine Beziehungsprobleme und wir vereinbarten einen Termin für die darauffolgende Woche. Schon dieses kurze Gespräch und die Aussicht auf baldige Unterstützung war wie ein Rettungsanker für mich. Ich hatte plötzlich wieder einen leisen Hoffnungsschimmer und das Gefühl, mit meinen Sorgen nicht allein zu sein.
Die erste Sitzung
Eine Woche später war es dann endlich soweit und ich stand nervös vor der Praxis der Psychologin. Die Tür öffnete sich und eine Frau in den 40ern mit einem blonden Pagenkopf und einem unaufgeregten, sympathischen Lächeln bat mich herein. Sie strahlte Kompetenz und eine gewisse Autorität aus, die ich aber nicht als unangenehm empfand - es vermittelte mir eher ein Gefühl der Sicherheit.
Kaum hatte ich in dem gemütlichen Sessel Platz genommen, sprudelte es auch schon aus mir heraus - es überraschte mich, wie gut es tat, mir den ganzen Kummer von der Seele reden zu können! Natürlich war am Ende der ersten Stunde mein Problem nicht gelöst. Aber das Wissen, ab sofort Unterstützung zu bekommen, war sehr erleichternd.
Wie es weiterging
Ab diesem Zeitpunkt stattete ich meiner Psychologin regelmäßige Besuche ab. Zu Beginn wöchentlich, später jede 2. Woche und gegen Ende dann einmal im Monat. Anfangs fand ich es mühsam, dass sie meistens nur dasaß und zuhörte - ich hatte mir eher konkrete Tipps erwartet, wie ich besser mit einer Situation umgehen könnte. Mit der Zeit verstand ich dann, dass wirkliche, nachhaltige Veränderung nur stattfinden konnte, wenn ich meinen eigenen Weg fand und mich selbst besser kennenlernte - und das funktionierte besser ohne die Ratschläge einer anderen Person.
Die Stunden liefen grundsätzlich immer gleich ab: Ich erzählte, die Psychologin hörte zu und führte mich durch gezieltes Fragen in die Reflexion und damit Schritt für Schritt tiefer in meine Psyche. Ich brauchte längere Zeit, um mich wirklich öffnen zu können und nicht nur einen Bericht darüber abzuliefern, was ich in der vergangenen Woche alles erlebt hatte.
Manche Fragen waren unangenehm, da sie mich zwangen, auf eine schmerzhafte Wahrheit genauer hinzuschauen. Oft gab es Momente, in denen keine von uns beiden etwas sagte. Ich schwieg, weil ich davor versucht hatte, ein heikles Thema möglichst rasch oberflächlich abzuhandeln und mir dann auf die Schnelle nichts einfiel, worüber ich weiter erzählen konnte. Die Psychologin schwieg, weil sie genau das wusste und nicht zuließ, dass ich mich so leicht aus der Affaire zog.
Die Minuten des Schweigens waren anfangs ganz schwer auszuhalten und kamen mir vor wie Stunden. Mit der Zeit lernte ich, mich darauf einzulassen, wodurch die Auseinandersetzung mit mir selbst wirklich in die Tiefe gehen konnte.
Dauerhafte Veränderung kommt oft nicht laut und gewaltig daher, sondern leise und in kleinen Schritten. Nicht nur einmal war ich frustriert und hatte das Gefühl, festzustecken und eigentlich schon viel weiter gewesen zu sein - bis mich die Psychologin daran erinnerte, wie ich mich noch ein paar Monate zuvor in derselben Situation verhalten hätte. An anderen Tagen verließ ich die Praxis staunend über ein riesiges Aha-Erlebnis, das ich während der Stunde gehabt und das meine Sichtweise plötzlich verändert hatte.
Was sich während dieser ganzen Zeit aber nicht verändert hatte, war das Gefühl, das sich noch vor der allerersten Stunde eingestellt hatte: Das Wissen, meine Psychologin im Hintergrund zu haben, war ein starker Anker, an dem ich mich festhalten konnte, wenn das Leben hohe Wellen schlug. Diese Sicherheit hat mich durch einige Krisen getragen.
Was sich verändert hat
Rückwirkend betrachtet hat sich durch die Gespräche mit der Psychologin meine Haltung zum Leben und die Art und Weise, wie ich mit Schwierigkeiten umgehe, grundlegend verändert. Heute fällt mir das vor allem immer dann auf, wenn mir meine Tagebucheinträge von früher in die Hände fallen.
Welche Veränderungen ich an mir selbst am deutlichsten wahrnehme:
Ich habe es geschafft, mich aus einer Beziehung bestehend aus destruktiven Abhängigkeiten zu lösen und lebe heute in einer glücklichen Partnerschaft als eines von zwei Individuen, die einander völlig gleichberechtigt auf Augenhöhe begegnen.
Ich kenne mich selbst sehr gut und weiß, warum ich in bestimmten Situationen emotional reagiere. Dadurch kann ich mich von negativen Emotionen viel schneller wieder lösen.
Ich erkenne meine Bedürfnisse genauer und kann für Dinge einstehen, die mir wichtig sind - ohne mir ständig darüber Gedanken zu machen, was Andere über mich denken oder von mir halten könnten.
Ich behandle mich selbst liebevoller und wertschätzender. Das hilft mir, auch im Umgang mit Anderen gelassener zu sein.
Mein Fazit
Die Entscheidung, sich psychologische Unterstützung zu holen, hat natürlich - je nach Dauer - auch mehr oder weniger große finanzielle Auswirkungen. Unterm Strich lohnt sich aber jeder Cent, den ich investiert habe. Für mich war es eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
* Die Bezeichnung "Psychologin" verwende ich im Rahmen dieses Texts zur einfacheren Lesbarkeit als Überbegriff für diverse psychologisch beratende Berufe (Psychosoziale Berater*innen, Psychotherapeut*innen, klinische Psycholog*innen o.ä.) - natürlich in dem Wissen um die unterschiedlichen Qualifikationen und Tätigkeitsfelder der einzelnen Berufsbilder.
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